Freitag, 25. September 2009

Kultur- und Sportzentrum lahmgelegt

Delitzsch. Seit 2005 klagt eine Anwohnerin aus der Delitzscher Karl-Marx-Straße gegen den Betreiber des Kultur- und Sportzentrums (KSZ), den Landkreis Nordsachsen. Es geht um ruhestörenden Lärm. Inzwischen ist folgender Stand erreicht: Im KSZ dürfen nur noch 18 Veranstaltungen im Jahr durchgeführt werden, die länger gehen als 20 Uhr. Darunter fallen alle, vom Abi-Ball bis zur Silvesterveranstaltung. Aber auch die Spiele des 1. SV Concordia Delitzsch.
Nordsachsens Landrat Michael Czupalla (CDU) dazu: „Wir haben uns mehr als bemüht. Jetzt stehen wir vor richtigen Problemen. Das KSZ ist damit lahmgelegt. Wir reden hier von der größten Halle im Landkreis Nordsachsen. Mit über 1000 Sitzplätzen ist sie für Großveranstaltungen ausgelegt. Und die wollen wir dort eigentlich auch durchführen. Wir sind auf Einnahmen angewiesen, die nun fehlen.“ Die Landesdirektion Leipzig schreibt in ihrer Begründung, dass der Landkreis seine Veranstaltungen auf den Zeitraum außerhalb der Ruhezeit, vor 20 Uhr, verlegen kann. 18 Veranstaltungen pro Jahr decken nicht einmal annähernd den Bedarf des SV Concordia Delitzsch, der allein 17 Heimspiele in der Handball-Bundesliga zu bestreiten hat. Hinzu kommen Pokal- und Länderspiele. Außerdem gibt es Begegnungen anderer Abteilungen. Vor dem Sport steht das Wort Kultur, die in diesem Zentrum ebenfalls stattfinden soll. Auch Partys, Tanz und Bälle scheitern hier an der 18er-Grenze. Czupalla: „Es ist schlimm, dass sich die Schüler außerhalb der Stadtgrenzen nach Alternativen umsehen müssen, wenn sie ihr Abitur feiern wollen. Größtes Problem ist jedoch der Bundesliga-Handball.“
Die Landesdirektion hat Immissionsrichtwerte nach der Sportanlagenlärmschutzverordnung und nach Freizeitlärmrichtlinien erlassen und diese auch zeitlich zugeordnet. Zudem gibt es Ruhezeiten, die eingehalten werden müssen. Unter dem Strich sind Veranstaltungen auch tagsüber nur eingeschränkt und ab 20 Uhr faktisch gar nicht mehr möglich. Czupalla: „Wenn doch, dann lässt die Klägerin Messungen durchführen. Danach kommt die nächste Anweisung aus Leipzig.“ In der Anordnung der Landesdirektion heißt es unter anderem: Überschreitungen der zulässigen Richtwerte im Sinne seltener Ereignisse sind für alle Veranstaltungsarten an insgesamt 18 Tagen im Jahr zulässig, wobei maximal zehn Nichtsportveranstaltungen möglich sind. Czupalla: „Seit zwei Jahren versuchen wir intensiv, mit der Familie auf einen Nenner zu kommen. Sämtliche Bemühungen um eine gute Nachbarschaft waren bisher vergeblich. Für mich unerklärlich, weil die Wohnung auch direkt an der Hauptstraße liegt und in unmittelbarer Nachbarschaft eine Bahnlinie verläuft.“
Der Vereinsvorstand habe nun mit großem Aufwand mit dem Deutschen Handball-Bund die Terminabsprachen für die kommenden Ereignisse getroffen. Es werde weiter Handball im KSZ geben, allerdings mit veränderten Anwurfzeiten und in begrenztem Umfang. „Länderspiele im Nachwuchsbereich, die immer abends stattfinden, fallen damit jedoch flach. Concordia hatte die bestbesuchtesten Spiele immer dann, wenn nach 19 Uhr angepfiffen wurde“, so der Landrat. Es habe Befragungen beim Publikum gegeben, das sich mehrheitlich und eindeutig für einen Spielbeginn 19 Uhr oder 19.30 Uhr ausgesprochen habe. Wenn 19 Uhr Anwurf ist, könne davon ausgegangen werden dass 22 Uhr, also zur Nachtruhe, die Bordsteine am KSZ hochgeklappt sind. Die Kreiszeitung hat Kontakt zu der Klägerin aufgenommen, um sie nach ihren Beweggründen zu fragen. Sie möchte anonym bleiben und mit ihrem Anliegen nicht in die Öffentlichkeit gehen. „Ich habe mit allen nötigen Behörden gesprochen, mit denen ich sprechen wollte. Mehr ist dazu nicht zu sagen“, so die Delitzscherin.
Frank Pfütze, Leipziger Volkszeitung vom 25. September 2009

3 Kommentare:

  1. Endlich wird mal öffentlich über dieses Problem gesprochen. Wir können dabei noch froh sein, dass das Landratsamt für die Halle zuständig ist und nicht die Stadt. Denn dann hätten wir noch mehr Probleme als es jetzt schon der Fall ist. Ob sich kurz- oder mittelfristig was ändert bleibt abzuwarten. Aber es ist der erste Schritt in die richtige Richtung!

    AntwortenLöschen
  2. Die Situation, die man hier vorfindet, ist einfach so dermaßen lächerlich, dass man nicht weiß, ob man als Delitzscher lachen oder weinen soll. Aber hier ist das letzte Wort noch nicht gesprochen...

    AntwortenLöschen
  3. Nett auch der Kommentar des Herrn Pfütze:


    Die Alternative heißt Waldhütte

    Jeder Gastronom und Hotelier, der eine hohe Auslastung vorweisen kann, ist eine ebenso große Nummer in der Branche. Volle Stühle, Tische, Zimmer und Häuser sind jedoch eher die Ausnahme. Dabei ist es unerheblich, ob der Betreiber/Inhaber Müller heißt oder Landkreis. Denn auch das ist möglich. In der Betreiber-Rolle befindet sich der Landreis Nordsachsen beispielsweise mit seinem Kultur- und Sportzentrum (KSZ) in Delitzsch. Mit der größtmöglichen Auslastung hapert es jedoch. Und dafür sorgt in Delitzsch eine einzige Frau, die sich ihrer Ruhe beraubt fühlt. Welche gesetzlichen Winkelzüge nötig sind, um so ein Millionen-Objekt faktisch und praktisch lahm zu legen, ist nebensächlich. Fest steht: Die Klagen sind erfolgreich. Es ist möglich, dass sich eine Einzelperson mit rechtlicher Rückendeckung gegen allgemeine öffentliche Interessen durchsetzen kann. Und das in einem Maß, dass einem die Nackenhaare stramm stehen.
    Die Landesdirektion Leipzig, die von Amts wegen auf die Beschwerden reagieren muss, versagt hier ebenso wie das Gesetzeswerk an sich, das solchen Unfug zulässt. Was hat die Landesdirektion den Tausenden Menschen zu sagen, die beispielsweise in den Einflugschneisen des Flughafens um ihre Rechte kämpfen? Die an Bahnlinien und Hauptstraßen leben? In Delitzsch heißt das Opfer Concordia Delitzsch. Es gibt aber auch noch Bundesliga-Volleyball, der eigentlich in diese Halle gehört und Kulturveranstaltungen und und und. Dass in der Karl-Marx-Straße – übrigens eine Hauptstraße an einer Bahnlinie – Veranstaltungen nach 20 Uhr nur in begrenztem Umfang gestattet werden, ist ja noch verständlich. Dass im KSZ aufgrund einer Einzelbeschwerde die Anwurfzeiten für die Handball-Bundesliga auf unattraktive Zeiten verlegt werden müssen, dadurch Zuschauer ausbleiben, ab 20 Uhr Ruhe sein soll, ist keinem normalen Menschen zu vermitteln. Wer in einer Stadt, an einer Straße und Bahnlinie neben einem solchen Kultur- und Sportzentrum lebt, der sollte das akzeptieren oder in eine Waldhütte ziehen.
    @f.pfuetze@lvz.de

    AntwortenLöschen