Auch ohne Abendkleid, Smoking und Lackschuhe: Die Handballer der SG DHfK/NHV Delitzsch haben am Samstagabend einen unwiderstehlichen Wiener Walzer aufs Parkett der Beckerhalle gelegt. Den Gästen aus Görlitz wurde schon vom Zusehen schwindlig, so dass sie mit dem 35:24 (21:8) noch gut bedient waren. Auch dank der Tanzlehrer aus Leipzig, Steve Baumgärtel und Till Riehn, geriet das vermeintliche Sachsenliga-Spitzenspiel zu einem sehr einseitigen, aber höchst unterhaltsamen Ballabend.
Zugegeben, das Bild des tanzenden Handballers ist ein eher krummes, der Körperkontakt von ganz anderer Natur, die Eleganz erschließt sich nur wahren Kennern der Szene. Und, als wollte er den lebendigen Gegenbeweis antreten, zog Delitzschs Rückraumschütze Jens Groeschel direkt nach dem Abpfiff eine Siegeszigarette aus dem Revers. "Ich kann mir das erlauben, bin in Form." Sprachs und verschwand paffend auf dem Schulhof neben der Beckerhalle. Allen besorgten Eltern sei an dieser Stelle gesagt, der Mann ist 33, darf das. Jedenfalls an diesem Tag und um diese Uhrzeit.
Irgendwie hatte wohl selbst der größte Abstinenzler an diesem Abend Bock, sich eine Pfeife anzuzünden. Die Zigarette danach musste her, um das lustvoll rasende Herz vor der Freudenexplosion zu bewahren. Denn mit Riehn und Baumgärtel lebten noch einmal die so schmerzlich vermissten Zweitligatage auf. Nicht nur emotional, sondern vor allem im ersten Durchgang, auch spielerisch. Selbst der unzweideutige Pausenstand von 21:8 brachte nur halbherzig die Dominanz der Hausherren zum Ausdruck. Trainer Michael Schneider fasste die 30 rauschhaften Minuten folgendermaßen zusammen: "Hohes Tempo, gute Abwehr - das kann man nicht viel besser spielen."
Schon früh streuten die Delitzscher einige Sahnestückchen ein, entnervten den Görlitzer Schlussmann mit ungezählten Lupfern (Kaiser Franz Beckenbauer wäre außer sich gewesen, aber was versteht der schon von Handball?). Zuckersüßer Höhepunkt war eine Kombination der JJ-Dynastie: Kapitän Matthias Juknat passte im Fallen auf Jan Jungandreas, der in den Kreis segelte, das Leder auf Kniehöhe ergriff und per Kempa versenkte. Heidewitzka!
Und die von der DHfK Degradierten? Hinterließen einen im wahrsten Sinne des Wortes vortrefflichen Eindruck, spielten von der ersten Sekunde an hochkonzentriert und uneigennützig. "Wir haben bewusst nicht das 1:1-Spiel gesucht, wollten uns in die Mannschaft einbringen", sagte Riehn. Kollege Baumgärtel ging mit verbissenem Gesichtsausdruck zu Werke, gab lautstarke Anweisungen. Als beide nach der Pause lange Minuten auf der Bank blieben, lahmte des Delitzscher Spiel zusehends. "Aber das hatte angesichts des Spielstands sicher auch psychologische Gründe", erklärte Trainer Schneider wenig später.
Die exakt 321 Zuschauer hatten auch so einen Heidenspaß. Nunja: Bis auf die handgezählten 25 sehr, sehr lauten Gästefans. Denen war schnell klar, dass es außer Südfrüchten für ihre Jungs nichts zu ernten geben würde, taten deswegen, was man in einer solchen Situation tut: Sie feierten sich selbst. Und ließen ihren Frust an den (teilweise in der Tat indisponierten) Schiedsrichtern aus.
Auch DHfK-Geschäftsführer Karsten Günther saß im Publikum, beschwor den allseitigen Nutzen des gemeinsamen Delitzsch-Leipziger Handballprojekts. "Wir profitieren alle davon, müssen an einem Strang ziehen." Wer wollte ihm an diesem märchenhaften Abend widersprechen?
Johannes David, Leipziger Volkszeitung vom 7.Januar 2013
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