Die Uraufführung von Friedrich Schillers „Wilhelm Tell“ fand 1804 am Weimarer Hoftheater statt. Eine Neuauflage gab es 114 Jahre später an ungewohnter Stelle: in der Delitzscher Mehrzweckhalle. Die Handball-Oberliga-Partie am Sonnabend zwischen dem NHV Concordia Delitzsch und der HSG Freiberg entwickelte sich zu einem wahren Drama, an dem der Dichterfürst wohl seine helle Freude gehabt hätte. Die Partie endete mit einem 37:35-Erfolg der Gäste.
„Da rast der See und will sein Opfer haben“, heißt es im Tell. Zumindest aus Delitzscher Sicht schien es so, als hätten die Schiedsrichter Daniel Bierhals und Benet Priesing vom SC Magdeburg dieses Zitat verinnerlicht. Denn die beiden Referees entwickelten sich von Neben- zu Hauptdarstellern und übten zugleich in Doppelbesetzung den Part des Regisseurs aus. Von Anpfiff weg bemühten sie sich zwar, einen strengen Maßstab anzulegen, doch heraus kamen oft inkonsequente Entscheidungen und eine wechselhafte, unklare Linie. Es hagelte Foulpfiffe, Verwarnungen und Zwei-Minuten-Strafen, oft für Kleinigkeiten, die beim Handball dazugehören.
Ich spreche eigentlich nie über die Schiedsrichter“, sagte Concordia- Coach Wladimir Maltsev. „Aber heute fehlen mir die Worte.“ Es habe nach fast jedem Kontakt zwei Minuten geben. „Wegen was?“, schüttelte der Trainer den Kopf. Er fühle sich, als ob ihm etwas gestohlen worden sei.
„Das habe ich das erste Mal erlebt.“ Einige Delitzscher Fans wurden noch drastischer. Die Palette reichte von „das ist ein Skandal, was gepfiffen wurde“ bis „die müssten sofort gesperrt werden“. Alexander Matschos, mitspielender Co-Trainer der Gäste, drückte sich diplomatisch- zurückhaltend aus. Es habe schon zwei, drei unverständliche Entscheidungen gegeben, meinte er. So mancher Delitzscher Spieler wollte aus Vorsicht gar nichts sagen. Motto: „Sonst bekomme ich eine Sperre.“
Die Rolle des Bösewichts hatten die Unparteiischen dabei offenkundig Oliver Wendlandt zugedacht. Eine seiner Zeitstrafen erhielt der Abwehrrecke, der auch in der Offensive mit sechs Toren überzeugte, nachdem er in der Defensive lediglich die Arme oben, sie aber nicht bewegt hatte. In der 54. Minute folgte der Eklat. Wendlandt sah seine dritte Zeitstrafe und folglich Rot. Er trat gegen die Delitzscher Bank, schlug mit den Händen auf den Boden. Emotionen pur. Danach schieden sich die Geister. Laut Schiedsrichterbericht soll der Kreisläufer sich sehr kritisch über die Leistung der beiden Magdeburger geäußert haben. „Das stimmt überhaupt nicht“, sagte er. Dennoch erhielt er die blaue Karte. Das bedeutet, dass ein Bericht angefertigt wird und eine Sperre wohl unausweichlich ist.
So entwickelte sich nach kurzer Zeit der Normalität ein eigenartiges und lange Zeit ausgeglichenes Sachsen-Derby. Marian Voigt entschärfte in der Anfangsphase zwei Siebenmeter, bekam danach, wie die anderen Torhüter auch, aber kaum noch eine Chance, einen Ball zu halten – weil beide Abwehrreihen sich angesichts der Schiedsrichterentscheidungen kaum noch trauten, energisch zuzupacken. So war es dann auf beiden Seiten so etwas wie ein „Tag der offenen Tür“, wie es Matschos formulierte.
Fast jeder Wurf war ein Treffer. Da ging schon ein wenig unter, dass Torjäger Frank Grohmann sensationelle 15 Treffer erzielte und Co-Trainer Jan Jungandreas in der zweiten Halbzeit sein Comeback in der ersten Mannschaft feierte. Das war die Konsequenz aus der Verletzung von Rechtsaußen Michal Paululik. Der Tscheche leidet seit drei Monaten unter Knieschmerzen und wird heute am Meniskus operiert und will im neuen Jahr zurückkehren. Aufsteigende Tendenz zeigte der klug Regie führende Mateusz Wolski. Der Pole, der momentan nur von Freitag bis Sonntag zur Verfügung steht, zieht im Januar nach Delitzsch um. „Ein Unentschieden heute wäre gerechter gewesen“, meinte er.
„Meine Mannschaft hat toll gekämpft“, lobte Maltsev, als der Schlussvorhang gefallen war. Gleichwohl hat das Team mit nunmehr 8:14 Punkten wieder Kontakt zur Abstiegszone. Wenn diese Leistung nächstes Wochenende in Jena abgerufen werde und die Schiedsrichter eine vernünftige Leistung zeigen, „werden wir gewinnen“, so der Trainer. „Also! Mutig ans Werk“, heißt es dazu in Schillers „Räuber“.
Ulrich Milde, Leipziger Volkszeitung vom 19.November 2018
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